Das vergangene verlängerte Wochenende von Christi Himmelfahrt bis zum Sonntag war vom Wetter her fantastisch! Auch heute am Montag herrschen in Berlin noch schwüle 32 Grad Celsius im Schatten. Gottlob ist für morgen Regen und anschließend wieder eine Abkühlung der Temperaturen angesagt.
Auch wir haben natürlich an diesen Tagen schöne Ausflüge in die Natur unternommen. U.a. waren wir mit dem Fahrrad in Berlin unterwegs, haben ein Motorboot gemietet und sind damit auf der Havel gefahren und sind an einem Tag gepaddelt. Ich möchte heute von unserer Paddeltour am Samstag auf dem Fluss Dahme südlich von Berlin berichten. Wir hatten uns einen Zweier-Kanadier bei einem Verleih in Märkisch Buchholz reservieren lassen und sind dann gegen zwölf Uhr mittags von dort auf der Dahme in Richtung Norden gestartet. Ein Kanadier sieht aus wie ein Paddelboot aus den guten alten Western-Filmen, so wie ihn die Indianer und Trapper benutzten. Man sitzt aufrecht auf einer Bank und hat nur ein größeres Paddel in der Hand, mit dem man sich im Wasser nach vorne schiebt. Das Boot, das wir erhielten, sah bereits etwas mitgenommen aus. Der obere Bootsrand aus Holz hat keinen Lackschutz mehr und war ausgetrocknet. Der Rumpf war schon mehrmals mit dem Pinsel überstrichen worden, was nicht mehr schön aussah. Aber das Boot glitt dennoch göttlich durch das Wasser, spurgenau und quasi ohne Widerstand. Man sollte nie von den äußeren auf die inneren Werte schließen.
Ihr könnt Euch vorstellen, dass die Knutschpapageien bei dieser Unternehmung dabei waren. So etwas ließen Sie sich nicht entgehen. Sie konnten herumtollen wie sie wollten, sich kutschieren lassen, wenn sie keine Lust mehr hatten und liefen nie Gefahr für Knutschbotschaften weggeschickt zu werden.
Das Dahme-Tal war ein idyllischer Anblick. Ein nicht zu breiter, kaum fließender Fluss unter blauem Himmel, den darüber hinaus noch wenige, pittoreske, kleine Schäfchenwolken aufhübschten. Der Fluss schlängelte sich sanft durch niedrige Anhöhen. Mal kam man dabei an unberührten Wiesen mit hohem Gras vorbei oder an sumpfigen Auen, mal reichten die Wälder direkt bis ans Wasser. Diese wiederum bestanden entweder aus Fichten und verbreiteten einen wunderbaren Harzgeruch oder aus Laubwald, dessen Blätter dann im angenehm warmen Sommerwind sanft rauschten. Immer wieder stand hohes Schilf am Ufer, aus dem dann häufig der knarzige Ruf des Drosselrohrsängers ertönte. Eine Vogelstimme, die ich noch nie zuvor gehört hatte. Es herrschte insgesamt eine so wunderbare Stille, dass sich die Geräusche der Natur ungemein laut entfalten konnten.
Überhaupt war eine vielfältige Tierwelt zu beobachten. Permanent und an fast jeder Stelle des Fließgewässers war der Ruf des Kuckucks zu vernehmen; es fing fast schon an zu nerven, … fast. Und dann die Graureiher, die uns unentwegt begleiteten. Sie flogen wie einst die Flug-Dinosaurier über Urstromtäler elegant und souverän über das flache Tal der Dahme. Das ist ein sehr beeindruckender Anblick, wenn sie mit ihrer ordentlichen Flügelspannweite ruhige und gelassene Schläge vollziehen. Meist stehen Sie regungslos am Ufer und warten wahrscheinlich auf Futter. Wenn wir dann mit dem Boot langsam bis zu einem gewissen Abstand in ihre Nähe kommen, springen Sie plötzlich von ihrem Standort auf, breiten ihre Flügel aus und starten mit wenigen kräftigen Schlägen in die Lüfte. Bei diesem Startvorgang bleibt ihr Kopf immer auf der gleichen Höhe, während sich der Rest des Körpers entsprechend auf und ab bewegt. Hat der Graureiher genügend Fahrt aufgenommen, wird der ganze Körper an den zuvor lang nach vorne gestreckten Kopf ruckartig angedockt. Ein lustiges Bild. Mit dem zusammen gefalteten Hals fliegt er dann schließlich elegant weiter.
Das ist ja noch ganz schick! Ein bisschen dümmlich wirkt er allerdings schon, vor allem wenn der Graureiher jedesmal erneut überrascht ist und von uns aufgescheucht wird, sobald wir angepaddelt kommen, obwohl wir ihn bereits 500 Meter zuvor schon einmal in seiner Ruhe gestört haben! Diese Erkenntnis seitens des Graureihers, dass dort ein Boot langsam auf ihn zukommt, kann sich den lieben langen Tag wiederholen, ohne dass er müde wird. So wandert der Graureiher lieber mit unserer Fahrtrichtung kilometerlang flussabwärts, als einmal direkt über uns hinweg in die entgegengesetzte Richtung zu fliegen. Dann wäre er uns einfach los. Nein, stattdessen immer der gleiche Ablauf: er sieht uns verwundert näher kommen, wird unruhig, fliegt schließlich los, lässt sich dann 500 Meter weiter wieder am Ufer nieder und ist überrascht, dass wir nur wenige Minuten später schon wieder auftauchen.
Die Knutschpapageien haben das seltsame Verhalten natürlich auch bald erkannt. Der Graureiher hatte von da an keine Ruhe mehr. Meine Frau und ich mussten gar nicht erst mit dem Boot in die Nähe kommen. Die beiden Spaßvögel sind aus unserem Kanadier heraus gestartet, sobald sie wieder von weitem die schlanke silber-graue Silhouette eines Graureihers im Schilf erkannten. Wie die Wahnsinnigen, verrückt kreischend, sind sie auf den armen Kerl los geflogen, der sich nur noch panisch in die Lüfte retten konnte. Der Knutschpapagei und seine Liebste amüsierten sich schenkelklopfend. Irgendwann änderten sie ihre Taktik und flogen voraus, aber über Land, und führten dann einen Überraschungsangriff vom Ufer aus durch. Danach ließ der Graureiher für diesen Tag die Jagd nach Fischen sein und verschwand auf Nimmerwiedersehen. Ich hoffe, er erholt sich langsam wieder von unserem Besuch.
Von diesen Neckereien aufgeputscht, flogen die Knutschpapageien weiter übermütig über das Wasser, die Wiesen und Wälder. Ab und an hatten sich auf unserer Tour auch Angler am Ufer niedergelassen, die Angeln ausgeworfen und dort genossen sie die Ruhe. Wie aus dem Nichts jagten ihnen zwei bunte Vögel plötzlich einen Schrecken ein. Wer oder was das wohl gewesen sein mag, konnte keiner sagen. Zum Glück wurden wir im Boot nicht mit den Knutschpapageien in Verbindung gebracht, sonst hätten wir noch Ärger bekommen. Wir fuhren langsam – nichts wissend – an den wild gestikulierenden Personen vorbei.
Zwei mal wiesen uns aber die Knutschpapageien auch auf kleine Schlangen hin, die sich unweit unseres Bootes an der Oberfläche des Wassers schlängelten. Die Schlangen waren jeweils kürzer als ein Meter und nur der kleine Kopf ragte aus dem Wasser heraus. Man erkannte sie eigentlich eher an den kleinen Wellen, die sie verursachten, als an dem sichtbaren Kopf.
Sobald meine Frau und ich an Land gingen, um eine Pause einzulegen, plagten uns sofort garstige Mücken. Dies war zunächst unangenehm, aber letztlich war das kein Problem. Nicht, wenn man zwei Knutschpapageien in der Familie hat: Flink jagten sie die bösen Insekten und verscheuchten sie nachhaltig aus unserer Umgebung. Gleichzeitig hatten die beiden eine delikate Zwischenmahlzeit.
Gegen Ende der Paddeltour wurden die Knutschpapageien doch noch in ihre natürlichen Schranken verwiesen. Auf der Suche nach neuen Opfern, wurde ihnen bewusst, dass sie selber welche werden könnten, als ihnen plötzlich ein sehr großer Greifvogel sehr nahe kam. Fluchtartig flogen sie zurück zu uns in das Boot und hielten sich nur noch zittern auf dem Holzsteg in der Mitte des Kanadiers fest. Vor Ihnen meine Frau, hinter ihnen ich, dass war wie eine sichere Burg! Und in der Tat hielt sich der Bussard in gebührendem Abstand von uns entfernt und verschwand bald auch wieder.
Doch der Schrecken war groß gewesen und steckte tief in ihren Federn. Zu allem Unglück stand uns kurze Zeit später eine weitere seltsame Begegnung der dritten Art bevor: Von weitem sah man bereits am rechten Ufer voraus einen einzelnen Höckerschwan. Schwäne können ja durchaus unangenehm auf Bootswanderer reagieren, wenn man ihnen zu nahe kommt. Dessen bewusst, steuerte ich den Kanadier vom rechten Ufer zur Mitte des Flusses, um dem Vogel rechtzeitig zu signalisieren, dass ich von ihm nichts wolle; ihn schon gar nicht bedrohen. Der Schwan – er muss noch ein junger Schwan gewesen sein – schien diese, auf der ganzen Welt bekannte Signalsprache noch nicht gänzlich zu beherrschen. Er schwamm wider erwarten ebenfalls in die Mitte. Ich wich noch weiter nach links aus, da ich dachte, er würde uns einfach nicht richtig bemerkt haben und schusselt bloß gerade in die Mitte des Flusses. Doch weit gefehlt, er hatte uns bemerkt und schnitt uns schließlich fast den Weg ab, so dass zum Schwan auf der rechten Seite und zum Ufer auf der linken Seite jeweils nur noch knapp zwei Meter Abstand waren. Die Knutschpapageien hielten sich – den Körper schnurgeradeaus gerichtet – am Steg ganz fest, nur die Köpfe waren eine wenig nach rechts gewandt. Sie beobachteten angespannt und skeptisch das Geschehen, jederzeit bereit davon zu fliegen. Man sah schon fast die kleinen Herzchen unter den Federn pochen. Und dann passierte das Überraschende: In voller Angeberpose hielt der Schwan wie in der kitschigsten Schwanensee-Aufführung seine Flügel aufrecht gestellt, nur den Hals hatte er nach hinten gerollt und so lag nun der Kopf aerodynamisch ganz niedrig zwischen seinen beiden Flügeln quasi auf dem Körper. Mit den Flossen schlagend nahm er jetzt neben uns Fahrt auf und lieferte sich mit uns über fünfzig Meter lang ein Wettrennen. Manchmal schaute er dabei, wenn er in Führung lag, etwas arrogant zu uns herüber, dann wieder schüchtern, ja fast beleidigt, wenn wir aufholten. Schließlich ließ er sich doch zurückfallen und uns gönnerhaft ziehen. Zunächst! Als wir dachten, dieses Schauspiel hätte ein Ende, und wir unsere Schlagzahl wieder verringert hatten, zeigte uns ein Blick nach hinten, dass der Schwan noch einmal das Rennen aufnahm. Er gab mit den Flossen so viel Gas, dass das Wasser vor seinem Hals wie die Gischt am Bug eines schnellen Bootes aufspritzte. Das war für uns das eindringliche Zeichen, schnell weiter zu fahren!
Was war das gewesen? Was wollte dieser einzelne Schwan von uns? Hatten ihn die Knutschpapageien etwa zu einer Angebertour verleitet? Wollte er uns durch diese Clownerien ablenken, vielleicht von einem Nest in der Nähe? Das wäre ein ganz schöner Stress den ganzen Tag über bei all den Bootswanderern. Oder war ihm vielleicht schlicht langweilig? Ich vermute ja, dass es sich um einen jungen Dorfschwan gehandelt hat, der mit seinem aufgemotzten Spoiler und tiefer gelegtem Chassis einen Zug durch die Gemeinde machte, um Mädels aufzureißen oder Streit anzufangen, um seine Kräfte zu messen. In der Natur ist es doch letztlich genauso wie bei den Menschen.
Die Knutschpapageien waren jedenfalls für den Rest des Tages bedient. Sie verhielten sich auf der Rückfahrt sehr ruhig und verkrümelten sich sofort, nachdem wir zu Hause angekommen waren, auf ihre Schlafstange, ohne noch etwas zuvor zu essen. Sie lehnten sich aneinander, schoben jeweils den Kopf unter einen Flügel und entschwanden erschöpft im Land der Träume, wo sie wahrscheinlich wieder Graureihern, Bussarden, Schlangen und auch Schwänen begegneten.