Der Knutschpapagei lernt Alwin kennen

Vor kurzem sah ich aus unserem Küchenfenster raus – es war herrlich sonnig-warmes Wetter eines frühen Sommers – und sah gedankenverloren in den Garten, der sich hinter unserm Haus inmitten der Friedenauer Hinterhausbebauung erschließt. Der Blick in diesen Garten ist immer wieder wunderschön. Irgendwie wurde hier in den Gründerjahren vergessen, ein Garten- bzw. ein Hinterhaus hochzuziehen. Auch später, vor und zwischen den beiden Weltkriegen sowie in der Nachkriegszeit, wurde zwischen all den anderen Häusern auf dem freien Platz kein weiteres Wohnhaus errichtet. Auf diese Weise ergrünt unerkannt von der Straße ein kleines Idyll voller Laub- und Nadelhölzer wie z.B. Kirsch- und Apfelbäumen, eine junge Blutbuche, Zypressen, ein Forsythienbusch, Hortensien und weiteres Grünzeug mehr.

Als ich nun so raus schaute, bemerkte ich plötzlich auf einem der niedrigen Apfelbäume eine Nebelkrähe. Sie saß auf der Krone des Baumes und naschte irgendetwas von den Ästen. Konnte es sein, dass sie sich an den noch ganz kleinen Äpfeln gütlich tat? War der Vogel ein Obstgenießer? Wohl kaum! Wahrscheinlich befreite die Krähe den Baum von verschiedenen Raupen oder anderen Insekten. Auf jeden Fall ging der grau-schwarze Vogel sehr konzentriert seiner Mahlzeit nach.

Ich rief den Knutschpapagei zu mir. Er hatte sich zuvor müde auf seine Stange zurückgezogen, während die Liebste gerade für mich eine Kussbotschaft an meine Liebste zum Potsdamer Platz, wo meine Frau arbeitet, überbrachte. Der Knutschpapagei kam zögerlich angeflogen, knabberte mir kurz am Ohrläppchen rum und fragte mich schließlich schläfrig, was ich denn wolle. Ich wies ihn auf die Nebelkrähe hin und sagte, er sei doch immer so interessiert daran, andere Vögel kennenzulernen, was denn mit diesem Vogel sei? Kenne er den schon? Der Knutschpapagei verneinte, war nun etwas wacher geworden und beobachtete mit mir zusammen, wie der andere Vogel am Apfelbaum nach Nahrung suchte und fand. Schließlich bat er mich, das Fenster zu öffnen, er wolle mal guten Tag sagen!

Ich tat wie mir geheißen und konnte anschließend beobachten wie der Knutschpapagei auf den Apfelbaum zuflog. Die Nebelkrähe reagierte überrascht, hob kurzzeitig die Flügel, um die Flucht zu ergreifen, merkte aber doch sehr schnell, dass dies kein Angriff war und balancierte nur noch ein wenig mit Flügeln und Schwanz, um auf dem Ast wieder das Gleichgewicht zu bekommen. Der Knutschpapagei setzte sich auf der Baumkrone in die Nähe der Krähe. Dann saßen sie eine Weile beisammen, unterhielten sich scheinbar, denn die Krähe krächzte und auch der Knutschpapagei ließ seine typischen Papageienrufe erschallen – halt so wie in einem Gespräch wie bei den Menschen. Sie schienen sich gut zu verstehen. Ich ließ sie schließlich allein, denn ich hatte ja auch noch etwas tun. Das Fenster blieb einfach offen, damit der Knutschpapagei jederzeit wieder reinkommen konnte.

Der Knutschpapagei und Alwin im an unsere Wohnung angrenzenden Garten

Nach einer halben Stunde hörte ich, wie der Knutschpapagei wieder auf dem Fensterbrett landete, durch das offene Fenster reinkletterte und zu mir ins Arbeitszimmer geflogen kam. Er ließ sich direkt auf der Tastatur nieder: ¥€ √√∂bzg3b d – so dass der gerade geschriebene Text leider ein paar seltsame Zeichenfolgen erhielt. Er habe einen neuen Freund gefunden, fing er sofort an zu erzählen. Sein Name sei Alwin! Alwin kenne sich sehr gut aus in Berlin, würde viele spannende Orte kennen und könne unheimlich viele Geschichten aus dieser Stadt erzählen. Er würde ihn auch sehr gerne einmal auf seinen Streifzügen mitnehmen, habe Alwin gesagt. Der Knutschpapagei habe geantwortet, dass er erst auf seine Liebste warten wolle, um sie dann dabei mitzunehmen. Sie hätten sich darum für den nächsten Tag verabredet. Wenn das Wetter mitspielen würde, könnten sie zusammen einen Urwald mitten in der Großstadt besuchen. „Urwald?“ fragte ich, „meint Alwin den Tiergarten?“ Nein, den kenne der Knutschpapagei ja schon. „Das ist ja eher ein Park!“ sagte er. „Nein, es soll ein wirklicher Urwald mit dichtem Blattwerk sein, in dem, völlig zugewachsen, antike Säulen und Skulpturen stehen sollen.“ „Aha, da bin ich ja mal gespannt, was Du davon berichten wirst.“ Der Knutschpapagei schaute mich stolz und glücklich an. „Was ist denn Alwin für ein Typ? Was macht er denn so?“ fragte ich den Knutschpapagei. Aber er war jetzt viel zu aufgeregt, mir zu antworten. Mit einem kurzen Kuss verabschiedete er sich von mir: „Ich erzähl Dir später mehr von ihm. Jetzt muss ich erst einmal zu meiner Liebsten und ihr alles erzählen, bis später!“ Und schon flog er seiner Liebsten entgegen. Ich sah ihm noch nach und freute mich, dass der Knutschpapagei und seine Liebste jetzt einen neuen Freund gefunden hatten.

 

1 Kommentar