An dem Tag, an dem meine Frau und ich vergangenes Jahr nach Charlottenburg umzogen, wies mich der Anführer des Umzugstrupps auf einen kleinen Hund auf dem Bürgersteig hin. Es handelte sich um einen schon etwas älteren, dunkelbraunen Rauhaardackel, der gemütlich auf dem Gehweg umherstreifte. Dieser Hund, so sagte der kräftige Umzugshelfer, würde nun schon, seitdem sie unsere Möbel aus dem Umzugswagen packen, seine zweite Runde in dieser Straße drehen. Zunächst liefe er auf der einen Straßenseite, würde dann am Ende der Straße diese überqueren und auf dem gegenüberliegenden Bürgersteig wieder zurückkehren.
Ich beobachtete daraufhin dieses Geschehen ebenfalls sehr interessiert. Ein zum Hund gehöriges Frauchen oder Herrchen war nicht zu sehen. Dieser Hund lief wie selbstverständlich ganz allein und selbständig auf den Gehwegen. Er kümmerte sich auch nicht um die Menschen, die ab und zu auf dem Bürgersteig liefen. Seine ganze Konzentration galt den Gerüchen, die er zu entdecken suchte: am Laternenpfahl, am Baum, am Grasbüschel, am Autoreifen, an der Hauswand etc. An besonders interessanten Stellen hob er ein Beinchen und markierte so die Stelle mit der Duftmarke seines urinalen Strahls.
Der Anblick dieses in sich ruhenden, selbstbewussten und autarken Geschöpfes inmitten einer Millionen-Hauptstadt rührt ungemein mein Herz. Seitdem habe ich diesen Dackel schon mehrfach wiedergesehen, denn er macht fast täglich seine Runde im Block, wenn auch zu unterschiedlichen Zeiten. Und ich bin ihm verfallen! Jedesmal springt mein Herz vor Freude, wenn ich ihm begegne, wobei ich ja nicht von einer Begegnung wirklich sprechen kann, da er meine Anwesenheit weder durch Anschnuppern noch durch ein Heben des Kopfes oder in irgendeiner anderen Weise würdigt. Er ignoriert mich einfach. Gestern vor meiner Haustür geschah dies auch wieder bzw. passierte nichts dergleichen. Ich blieb extra stehen und wartete darauf, während er auf mich zugelaufen kam, dass er irgendwie neugierig wäre zu sehen, wer da mitten auf dem Bürgersteig stehen blieb. Jedoch hoffte ich umsonst auf eine Reaktion. Direkt neben mir war die freie, verrottete Erdfläche im Bürgersteigpflaster, in der einmal ein mittlerweile gefällter Baum gestanden hatte, viel interessanter. Auf diesem verdreckten Stück Erde hatten sich schon viele andere Hunde verewigt. Auch – ich nenne ihn einmal Friedolin -, auch Friedolin hob hier sein Beinchen und setzte seine Marke dazu. Anschließend trottete er – ja, man kann wirklich von Trotten sprechen, da es ein leichtfüßiges, Ruhe ausstrahlendes, gemütliches Hoppeln auf vier kurzen Beinen ist – von dannen. Ich schaute ihm begeistert hinterher. Diesmal überquerte er aber nicht die Straße, sondern verschwand alsbald um die Hausecke aus meinem Blick.
Friedolin ist für mich eins von vielen Beispielen für die sympathische Lebenskultur Berlins! Man muss nicht nach Prenzl’berg, Friedrichshain oder Kreuzberg fahren, um dort an hippen Orten auf hippe Menschen zu treffen. Hier im total normalen, gelassenen, abseitigen Charlottenburg zwischen Alt-Lietzow und dem Gelände der TU Berlin, weitab vom teuren alten West-Berlin um dem Savignyplatz, gibt es ebenfalls Dinge im Kleinen zu entdecken, die Kult besitzen. Wie z.B. die selbstverständliche autarke Mobilität von Hunden und Katzen im Kiez, die keineswegs Einzelfälle sind, inmitten eines mehrstöckigen Häusermeeres, durch das mit täglich Tausenden von Autos und Bussen stark frequentierte Straßen ziehen. Diese selbstbewussten Wesen erobern ihre Nischen und richten es sich dort gemütlich ein. Natürlich hat Friedolin irgendwo in unserem Häuserblock ein Zuhause. Dort wird er mit Essen versorgt und erhält wahrscheinlich auch seine liebevolle Zuwendung. Auf diese Weise gestärkt, benötigt er aber keinen Menschen mehr, um – etwa an der Leine geführt – spazieren zu gehen. Ich freue mich schon auf das nächste Wiedersehen; vielleicht nimmt mich Friedolin ja diesmal wahr.